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Unsichtbare Frauen im Familiengedächtnis – und wie wir neue Geschichten schreiben können

  • Autorenbild: Barbara Pramböck
    Barbara Pramböck
  • 3. Okt.
  • 3 Min. Lesezeit

Während männliche Vorfahren erinnert werden, bleiben Mütter, Großmütter, Urgroßmütter und Tanten unsichtbar. Dabei steckt in ihren Lebenswegen so viel Kraft und Weisheit. Deshalb lohnt es sich, ihre Geschichten zu erinnern und neu zu schreiben.


3 Generationen von Frauen - viel Potential für weibliche Geschichte/n
3 Generationen von Frauen - viel Potential für weibliche Geschichte/n

Wenn wir in unsere Familiengeschichten blicken, fällt oft eines auf: Männer tauchen häufiger in Erzählungen auf als Frauen. Während Großväter, Onkel oder männliche Vorfahren mit Berufen, Erfolgen oder besonderen Lebensereignissen erinnert werden, verschwinden die Geschichten von Großmüttern, Tanten oder Urgroßmüttern häufig im Hintergrund.

Das Familiengedächtnis ist nicht neutral, sondern spiegelt gesellschaftliche Hierarchien wider.

Die Soziologin Franziska Schutzbach beschreibt in ihrem Buch, wie Frauenbeziehungen in Familien traditionell unsichtbar gemacht wurden. Weibliche Lebensgeschichten wurden oft als „Alltägliches“ abgetan – Kindererziehung, Pflegearbeit, Haushaltsführung –, während männliche Leistungen im öffentlichen Raum Anerkennung fanden. Das Familiengedächtnis ist also nicht neutral, sondern spiegelt gesellschaftliche Hierarchien wider: Das Leben von Frauen wird weniger erinnert, weniger weitergegeben und damit auch weniger wertgeschätzt.


Warum ist das wichtig?


Wenn Frauen im Familiengedächtnis unsichtbar bleiben, fehlen uns wichtige Ressourcen. Denn auch in weiblichen Lebensläufen gibt es Stärke, Widerstandskraft, Kreativität und Weisheit – nur sind diese Erzählungen oft nicht überliefert. Das führt dazu, dass nachfolgende Generationen einen Teil ihrer Wurzeln nicht kennen und damit auch weniger Möglichkeiten haben, sich auf diese verborgenen Stärken zu beziehen.


Transgenerationale Arbeit als Schlüssel


Hier setzt die transgenerationale Arbeit an. Sie macht sichtbar, was bisher nicht erzählt oder verdrängt wurde. Mit Methoden wie der Genogrammarbeit lassen sich Lücken im Familiengedächtnis aufspüren: Wo fehlen Namen, wo fehlen Geschichten? Welche Frauen wurden vielleicht „vergessen“ – und warum?


Auch die ECHO®-Methode nach Kaja Andrea Otto kann helfen, die körperlich gespeicherten „Echos“ dieser Leerstellen wahrzunehmen. Denn auch das Nicht-Erzählte, das Verborgene, hinterlässt Spuren in Familien und wirkt auf nachfolgende Generationen.


Der narrative Ansatz – neue Geschichten finden


Der narrative Ansatz hat seine Wurzeln in der systemischen Familientherapie und wurde vor allem von den australischen Therapeuten Michael White und David Epston in den 1980er-Jahren entwickelt.


Die Grundidee: Wir Menschen verstehen unser Leben in Form von Geschichten. Diese Erzählungen prägen unsere Identität, unsere Sicht auf Probleme und auf uns selbst. Oft sind es jedoch „dominante Geschichten“, die uns einschränken – z. B. „Ich bin nicht gut genug“ oder „In unserer Familie gelingt nichts“.

Ein neuer Blick auf die eigene Lebensgeschichte und die Familiengeschichte eröffnet mehr Handlungsfreiheit.

Im narrativen Ansatz geht es darum, solche Geschichten zu hinterfragen, zu erweitern und neue Erzählungen zu entwickeln, die Ressourcen, Fähigkeiten und verborgene Möglichkeiten sichtbar machen. Dadurch eröffnet sich ein neuer Blick auf die eigene Lebensgeschichte oder auch die eigene Familiengeschichte – und damit auch mehr Handlungsfreiheit.


Was wir über uns selbst und unsere Herkunft erzählen, prägt unsere Identität. Wenn weibliche Stimmen fehlen, sind auch unsere inneren Geschichten unvollständig.

Transgenerationale Arbeit eröffnet hier einen neuen Raum: Wir können nicht nur alte Muster aufdecken, sondern auch neue Geschichten finden – Geschichten von Frauen, die fürsorglich, kreativ, mutig oder eigenwillig waren. Selbst wenn konkrete Namen fehlen, können wir die Leerstellen mit neuen Narrativen füllen, die uns Kraft und Orientierung geben.


Fazit


Frauen im Familiengedächtnis sichtbar zu machen, bedeutet mehr als Erinnerungskultur. Es heißt, unsere eigenen Wurzeln neu zu entdecken und uns mit bislang ungenutzten Ressourcen zu verbinden. Die transgenerationale Arbeit – besonders in Verbindung mit narrativen Methoden – hilft uns dabei, alte Lücken zu schließen, neue Geschichten zu schreiben und unser Leben mit mehr Tiefe, Kraft und Sinn zu gestalten.


Dein Impuls zum Nachspüren


Frag dich einmal: Welche Frauen in meiner Familie kenne ich kaum – und warum? Vielleicht fehlen Geschichten über Urgroßmütter, Tanten oder Schwestern. Vielleicht gibt es nur wenige Fotos oder Erzählungen. Oder vielleicht werden sehr negative Geschichten erzählt. Auch diese Geschichte sollten hinterfragt werden.


Ein Beispiel: Es gibt in meiner Familie eine Urgroßmutter väterlicherseits, die als "die schlechte Mutter" in der Familiengeschichte weiterlebt. Geboren am Ende des 19. Jahrhunderts, war sie unerhört erfolgreich im Beruf (sie war eine der ersten Wirtschaftsprüferinnen in Österreich), dafür hat sie ihre Tochter, meine Großmutter, schmerzlich vernachlässigt.


Lange habe ich damit gekämpft, wie ich Berufstätigkeit und Mutterschaft unter einen Hut bringen kann. In einer Aufstellung (mit menschlichen Repräsentanten) konnte meine Großmutter sich endlich mit ihrer Mutter versöhnen, was eine starke Veränderung in meinem unmittelbaren Familiensystem, aber auch in meinem eigenen System zur Folge hatte.


Heute anerkenne ich zwar, dass meine Großmutter sehr darunter gelitten hat, dass ihre Mutter sie vernachlässigt hat, gleichzeitig kann ich wertschätzen, was meine Urgroßmutter geleistet hat in einer Zeit, in der Frauen in ihrer Tätigkeit vorwiegend auf Haushalt und Kindererziehung beschränkt waren. Diese Ressourcen stehen auch mir zur Verfügung!


👉 Nimm dir einen Moment und schreibe die Namen dieser Frauen auf. Sammle, was du weißt – auch wenn es nur kleine Bruchstücke sind. Und wenn nichts überliefert ist: Erlaube dir, die Leerstellen mit eigenen positiven Bildern und Erzählungen zu füllen. So gibst du diesen Frauen einen Platz in deiner Familiengeschichte – und dir selbst neue Kraftquellen.



 
 
 

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